Positive Sicht

10 Jahre trübe Schleier vor den Augen, doch manche Dinge sehe ich jetzt klarer, auch dank der Floater. Natürlich, bin ich nicht dankbar Floater zu haben, ich sehe meine Floater auch nicht als Teil von „Gottes Prüfung“ oder sonstigen infantilen Versuchen der psychsichen Verzerrungs-/Abwehrmaschinerie.

 

Der Mensch handelt allgemein aufgrund äußerer Stimuli, heißt ein Reiz trifft auf Rezeptoren wird vom Gehirn verarbeitet, dieses Momentum löst etwas aus ein Lachen, Nicken, Schreien oder ganz grundsätzlich eine Reaktion. Diese Rektion wird zu einem Handeln, dieses Handeln zu einer Situation und am Ende wird all das Erfahrung. Manche Erfahrungen habe ich nur wegen, oder auch dank, meiner Floater gemacht. Bestimmte Menschen hätte ich niemals getroffen, bestimmte Situationen nicht erlebt, manche Träne nicht geweint und manches Grinsen nie gegrinst. Natürlich ist diese Sichtweise sehr von der Idee geprägt das Positive im „Ist“ zu sehen, denn ich habe nur diesen Erfahrungshorizont, ohne Floater wäre mein Leben ein anderes und dieses „Andere“ hätte genau so alle Seiten, wie dieses Jetzige.

 

Dieses Leben scheint unerträglich, ein anderes unerreichbar.

Frank Kafka

 

Doch bei all dem philosophieren, was haben mir die Floater gebracht, wo haben sie ein Fundament hinterlassen, wo vorher leeres Land war?

 

Bei meinem ersten Arztbesuch, war ich ein kleiner verängstigter Junge, der nicht wusste was los ist und nicht wusste was er tun soll. Die Meinung des Arztes, war wie von Gott gegeben. Ich war unfähig nachzufragen, oder sogar zu Widersprechen. Bei meinem letzten Besuch beim Augenarzt, war es anders. 20 Minuten saß ich da und diskutierte mit ihm, warum eine Vitrektomie kein Hirngespinst ist, warum es wichtig für mich ist und weshalb er aus seiner klinischen objektive Sichtweise mein subjektive Beeinträchtigung überhaupt nicht empathisch nachempfinden kann. Völlig ungeachtet des Ausgangs dieses Gesprächs, mir ist erst Monate später aufgefallen, dass ich gewachsen war. Raus aus meiner schüchternen Hülle hinein in ein mehr an Selbstvertrauen und Überzeugung.

 

Die ersten 2 Jahre, nachdem die Floater massiv mehr geworden sind, waren ein Horror. Ich ging weder raus, noch hatte ich Spaß, wenn ich doch mal musste. Ständig schaute ich meinen Floatern hinter her, mein kompletter Gedankenkosmos zirkulierte unaufhörlich immer und immer wieder um meine Floater. Ich konnte manchmal weder schlafen noch essen, es fühlte sich als würde ich niemals wieder glücklich werden. Unerträglich der Gedanke, dass dieses, mein einziges Leben jetzt so ist, so war es jetzt also. Das ganze Internet war voll von Hiobsbotschaften: „Es wird niemals besser werden“, „Ein Leben mit Floater ist so nicht lebenswert“. Und ich saugte alles auf, diesen ganzen Schmutz, wie ein Schwamm und kochte mir mein Destillat des Unglücks.

Wenn es allen so geht, wieso sollte es dann bei dir bitte anders sein? Doch nach Stunden der Therapie und Selbstreflexion, wich das alles einem neuen Gedanken. Na und! Dann scheitern halt alle, dann muss ich eben der Erste sein, dem es gelingt.

Resignation erstickt jede Idee von Fortschritt und Entwicklung im Keim. Selbstverständlich bin ich nicht eines Tages aufgewacht und es ging mir besser. Tausende weitere Gedanken folgten auf diesen Ersten, auch so manche Träne, mancher Rückschritt, aber auch so mancher Moment des Siegs und der Genugtuung. Jetzt ist es definitiv anders, die meiste Zeit sind meine Floater eine Randerscheinung, ein peripheres Phänomen an der Grenze meines Erkenntnishorizonts. Nicht weil ich sie ignorieren muss, um leben zu können, sondern weil ich sie kenne und ich rufe in die Welt nach draußen:„Zeig mir etwas neues, ich will alles sehen.“ Es gibt Tage da stören sie mich, aber das ist okay, die Welt ist ambivalent, mit manchen Spannungen muss man umgehen können, ohne daran zu zerbrechen.

Diese Erkenntnis diese Kompetenz werde ich wohl mein Leben lang behalten, ob Floater oder nicht, hier bin ich gewachsen. Dieser Blog war einst dazu gedacht, alle relevanten Information über Floater und Behandlungsmöglichkeiten zu sammeln und zwar ausschließlich dafür. Jetzt ist er mehr viel mehr, ein bisschen Tagebuch, ein bisschen Mutmacher und Informationen. Hätte ich keine Floater würde es ihn nicht geben und selbst wenn ich nur einen Menschen erreiche und sein Leben durch meine Worte bereichern kann, dann habe ich schon mehr gewonnen, als ich mir jemals zugetraut hätte. Selbst wenn es bei meinem eigenen bleibt.

 

Für mich ist die Vitrektomie noch immer eine Alternative und sobald der Augenblick günstig ist, werde ich auch eine machen lassen. Dies ist, zu allem vorherigen, kein Widerspruch. Denn nur, weil ich sie nicht möchte und lieber vollständig freie Sicht hätte, muss nicht alles schlecht sein. Selbst Floater haben eine zweite Seite vielleicht muss man sie nur zulassen, vielleicht muss man sie nur sehen.